Wegen einer „einfachen Krankheit“

Die Pandemie aus Sicht eines Kindes – Die Entstehung einer nicht mehr ganz verständlichen Lebenswelt, wegen einer „einfachen Krankheit“

Mit diesem Artikel soll der Blickwinkel, der für ein gesellschaftlich unterprivilegiertes elfjähriges Mädchen durch die Coronapandemie entstanden ist, beleuchtet werden. Ihr Name ist Rebecca, sie wächst allein bei ihrer Mutter auf und wurde im Rahmen eines studentischen Forschungsprojekts zum Thema „Welche Veränderungen finden sich im coronabedingten Lockdownalltag bei Schüler*Innen verschiedener Schulformen?“ befragt. Das Interview fand im Mai 2021 unter Einhaltung der vorgegebenen Hygienebedingungen bei ihr Zuhause statt.

Gerade Kinder, die in gesellschaftlich unterprivilegierten Familien aufwachsen, sind neben den herkömmlichen Entwicklungsaufgaben des Heranwachsens mit weiteren Herausforderungen, die mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status verbunden sind, konfrontiert. Deshalb sind diese Heranwachsenden besonders stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Das Aufwachsen der elf-jährigen Rebecca ist vor allem durch finanzielle Defizite geprägt. Die alleinerziehende Mutter versucht dem Geldmangel mit viel Arbeit entgegenzuwirken. Allerdings ist das Mädchen dadurch viel allein, sei es in der Freizeit oder bei Schulaufgaben. Darüber hinaus fließt ein Großteil der Ressourcen, die der Mutter zur Verfügung stehen, in ihre eigenen Interessen wie äußeres Erscheinungsbild, die Suche nach einem Partner und das Treffen der eigenen Freunde. Darunter leidet auch der familiäre Zusammenhalt.

Rebecca hat viele Veränderungen ihrer Lebenswelt durch die Coronapandemie erlebt. Sie ging ihrem Hobby dem Tanzen nicht mehr nach, sondern beschäftigte sich nun mehr allein mit Zeichnen und Fernsehen. Die Schule, die für sie eine wichtige Kontaktressource darstellte, brach in Präsenz weg. Einerseits berichtet sie eine Verbesserung ihrer Noten durch Homeschooling und der Hoffnung, dadurch eine bessere Schule besuchen zu können, und den Vorteil länger Schlafen zu können. Andererseits besteht durch das Lernen Zuhause die Schule als Treffpunkt ihrer Kontakte nicht mehr. Sie verlor wichtige Gelegenheiten des Austausches und dadurch auch Freundinnen. Rebecca berichtete, es gab „einen kompletten Kontaktabbruch also wir haben uns nicht mal mehr gesehen seit Corona. Die Eltern wurden viel strenger.“ Aber nur die anderen, sagte sie. Sie erwähnt weiter „meine Mama arbeitet sehr lange, länger als 18 Uhr“.

Durch die erhöhte Techniknutzung in der Coronazeit durfte Rebecca ihr Handy nicht mehr wie gewohnt nutzen. Ihre Mutter schränkte die Zeit, in der sie ihr Handy haben durfte, sehr stark ein. Da das Mädchen zu dieser Zeit in der Regel allein Zuhause ist und ihre Schulaufgaben erledigt, entstanden häufig technische Probleme im Homeschooling. Denn sie würde in einigen Situationen zur Abgabe der erledigten Aufgaben ein Zweitgerät benötigen. Durch das Handyverbot erlebt sie jedoch nicht nur Ärger durch die aufkommenden Verzögerungen der Abgaben, sondern auch eine weitere Einschränkung ihre Kontakte aufrechtzuerhalten.

Für Rebecca blieb deshalb ein gewisses Unverständnis zurück, was aber dennoch mit einer Anpassung an die Situation einhergeht. Es kann sich trotz der vielen einschneidenden Veränderungen keine verstehbare Situation für sie ergeben. Vor allem, da sie viel allein ist und sie auf die meisten Veränderungen, die sie betreffen keinen Einfluss hat. „Corona ist für mich so wie eine einfache Krankheit ist halt so was wie die Grippe find ich. Ich find Corona nicht schlimm dann solls halt jeder haben zwei Wochen Zuhause bleiben (…).“

Um erahnen zu können was Corona für Kinder bedeuten kann, ist es wichtig, dass Erwachsene trotz eines stressigen Alltages versuchen Corona aus Kinderaugen wahrzunehmen, um für sie möglichst eine verstehbare Lebenswelt zu erhalten. Denn wegen einer „einfachen Krankheit“ so viele Einschränkungen hinnehmen zu müssen, ist nicht verständlich.