„Ich halte es zu Hause nicht mehr aus“

Jonas (12 Jahre) - aus einem Interview im Dezember 2020

Jonas ist an der Jugendsozialarbeit an Schulen (JaS) angebunden und besucht regelmäßig das Jugendhaus.

Nicht nur die AdressatInnen der Sozialen Arbeit, sondern derzeit wohl die meisten Menschen fühlen sich mittlerweile bei diesem Satz angesprochen. In diesem Kontext wurde der 12-Jährige Jonas, Schüler einer 6. Klasse interviewt, welcher gerade in der JaS aber auch im angrenzenden Jugendhaus gut angebunden ist. Er, seine Schwester und seine Mutter sind vor 5 Jahren nach Deutschland gekommen und leben seitdem in einer kleinen 3 Zimmerwohnung im Frauenhaus. Der Kontakt zu seinem Vater ist kaum vorhanden. Seine Mutter und Schwester haben jeweils ein eigenes Zimmer und er bewohnt das Wohnzimmer. Schon vor geraumer Zeit ist Jonas im Zusammenhang mit seiner Schwester in die JaS gekommen und seit diesem Zeitpunkt regelmäßig angebunden gewesen, um seine privaten Probleme aber auch schulische Probleme zu klären. Darunter zählen Einzelgespräche, Streitschlichtungen sowie Nachhilfe bzw. Förderstunden.

Im Februar/März, zu Beginn der Corona Pandemie, war der Lockdown für viele SchülerInnen noch eine Freude, da die Schule erst einmal ausfiel. So auch für Jonas: „Die erste Woche waren wie Ferien“. Auch die Mutter war zu Hause, da sie nicht arbeiten musste. Dadurch haben sie viel Zeit miteinander verbracht. Ihm wurde dann jedoch schnell bewusst, dass die Schule, aber vor allem die Freunde fehlen, welche man ja jetzt auch nicht treffen konnte. Die Ferien wurden plötzlich zum Horrortrip. Die Schule musste auch zu Hause irgendwie weiter gehen und das ging mehr schlecht als recht. Das Handy der Mutter musste für die Videokonferenzen im Rahmen der Schule zu Hause reichen, da Jonas‘ Handy kaputt war. Deshalb kam es des Öfteren zu Streitigkeiten innerhalb der Geschwisteraber auch mit der Mutter. Jonas sagte, dass gerade durch diesen Konflikt der Lockdown für ihn sehr schlimm war. Er konnte keine Klassenkameraden, Freunde oder auch Helfer (wie er Nachhilfe-Lehrer, Mitarbeiter des Jugendhauses, Sozialarbeiter des Frauenhauses oder auch die JaS nennt) sehen, geschweige denn mit ihnen sprechen. Das Handy durfte er nur für die Videokonferenzen der Schule nutzen und selbst dabei wurde er von seiner Mutter unter Druck gesetzt, da sie das Handy selbst für ihre Freizeit haben wollte.

 In der Schule kann sich Jonas nur schwer auf die Lerninhalte konzentrieren kann. Kurz vor dem zweiten Lockdown hat eine Testung stattgefunden, welche einen akuten Förderbedarf und ein erniedrigtes IQ bei Jonas ergeben hat. Da die Förderschule leider derzeit keinen freien Platz hat, geht er weiterhin auf die Regelschule. Gerade im ersten Lockdown, in dem er keine extra Förderstunden durch die JaS oder Nachhilfe bekam, war die Schule eine noch größere Herausforderung für ihn. Jonas sagt selbst, dass er ein paar Mal versucht habe, sich mit Mathe zu beschäftigen. Allerdings gab er schon beim Lesen der Aufgaben auf, da er die Aufgabenstellung sprachlich nicht verstand. Aus diesem Grund kam es zu einer völligen Ablehnung und Schulverweigerung.

Jonas spricht des Weiteren an, dass der Lockdown Auswirkungen auf seinen psychischen Zustand habe. So fühle er sich wie in einem Gefängnis: „Du bist drin gefangen, kommst nicht raus. Ständig kommen neue Regelungen, Schulsachen oder andere Dinge rein. Es wird immer enger und enger. Man kann machen was man will, kann aber nicht raus. Es wird einem so ein bisschen die Luft zum Atmen genommen.“

„Ich war erstaunt als ich diese Beschreibung aus dem Mund eines 12-jährigen gehört habe. Psychisch am Ende und ein Hilfeschrei nach außen.“ (Aussage einer Schulsozialarbeiterin)

Durch die Corona Maßnahmen kann seine Mutter nach wie vor nicht Arbeiten und ist unzufrieden mit der Lebenssituation. Der Lockdown wirkt sich stark auf ihr eigenes Verhalten und den Umgang mit den Kindern aus. Jonas erzählt von sehr vielen Streitigkeiten und Auseinandersetzungen, die er einfach nicht mehr aushält. Besonders schwer fällt ihm die soziale Isolation von seinen Freunden und seinen Betreuungs- und Bezugspersonen.

Er wünscht sich, dass alles wieder so wird, wie zuvor.

Dieser Wunsch wurde nicht erfüllt, denn das Interview wurde am Tag vor dem zweiten Lockdown geführt. Jonas hatte sehr große Angst, dass es wieder so schlimm wird, wie während des ersten Lockdowns. Inzwischen verfügt er wieder über ein eigenes funktionsfähiges Handy, mit dem er an den Webmeetings teilnehmen kann. Dadurch kann er auch besser den Kontakt zu seinen Freunden halten.

Einer seiner größten Wünsche wäre, dass er trotz des Lockdowns jemanden zum Reden hat. Er wünscht sich außerdem, dass das Jugendhaus und auch die Schule im Rahmen einer Notbetreuung geöffnet haben sollen und ihn bei der Bewältigung seiner Problemlagen unterstützen können.

„Im Nachhinein ist es schön zu wissen, dass die Wünsche von Jonas erfüllt wurden, er jetzt (im zweiten Lockdown) jeden Tag in die Notbetreuung gehen darf und Menschen an seiner Seite hat, die ihn sowohl im schulischen Bereich unterstützen, als auch in privaten und persönlichen Dingen.“ (Aussage einer Schulsozialarbeiterin)

 

Hintergrundwissen:

JaS: Jugendsozialarbeit an Schulen beschreibt eine enge Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule. Sie ist eine Leistung der Jugendhilfe und soll besonders die sozial schwachen und benachteiligten SchülerInnen fördern.

Jugendhaus: Ein Treffpunkt für die Jugendlichen. Dort werden sowohl schulische als auch außerschulische Angebote gestellt. Ebenso haben die Jugendlichen dort einen Ort um sich zu treffen, aber auch die Möglichkeit mit sozialpädagogischen Angestellten zu sprechen.

Frauenhaus: Ein Frauenhaus ist ein Zufluchtsort für Frauen und Ihre Kinder, wenn Sie bedroht, geschlagen, bevormundet, gedemütigt und/oder sexuell missbraucht werden. Dabei bieten die Frauenhäuser Schutz und Unterkunft unabhängig von Herkunft, Nationalität und Religion.