Homeschoolig – „Du siehst keinen, du bist allein, einfach“

Ich interviewte die 16-jährige Anni im Rahmen eines studentischen Forschungsprojekts der Hochschule München im Mai 2021. Anni befand sich gerade im Wechselunterricht der 10. Klasse eines Gymnasiums.

Das Forschungsinteresse galt der Frage: Welche Veränderungen finden sich im coronabedingten Lockdownalltag bei SchülerInnen verschiedener Schulformen? Trotz der Corona-Situation konnten wir es uns ermöglichen ein persönliches Gespräch zu führen. Das Gespräch war in einem gemütlichen Zimmer, wir saßen uns bequem gegenüber mit ein paar Snacks und was zu trinken. Das Treffen ist besonders, da es ungewohnt ist „fremde“ Leute zu treffen, außerdem liegen Anni bezüglich des fehlenden Präsenzunterrichts einige Gedanken auf dem Herzen und sie wird mir im Laufe des Gesprächs viel darüber erzählen. Sie wirkt entspannt und eher zurückhaltend. Anni lebt mit ihren Eltern und einer jüngeren Schwester zusammen. Sie führen ein behütetes Vorstadtleben, welches sich so manch einer wünscht. Anni und ihre Schwester haben ihre eigenen Zimmer in einem mittelbürgerlichen Haus mit Garten und genug Platz für alle vier, was wollte man mehr zu Zeiten des Lockdowns. Dennoch haben auch Kinder wie Anni eine schwere Zeit durchlebt. Was nutzt einem der viele Platz, wenn man allein ist, weder jemanden einladen kann oder irgendwo hingehen kann. Zwar ist es schön für Anni viel mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, so sagt Anni man fängt an „vor allem Sachen die „normal“ sind mehr zu schätzen“, sie meint Dinge wie Familie, Freunde und Gesundheit. Doch genau in ihrem Alter sagt sie lernt man als junger Mensch so viel und nennt Beispiele wie der erste Kuss, die erste Liebe oder die erste Party. Sie vermisst die Schule „der Lehrer, der dir persönlich was erklären kann“ und die Freunde in ihrer Generation „die Mitschüler oder Leute, die man halt im Alltag sieht, die sind halt nicht, die fallen weg“, sagt Anni. Das Home-Schooling ist für Anni eine zweiseitige Medaille, auf der einen Seite haben sich ihre Noten verbessert, weil laut Anni wenig Leistungsnachweise gemacht wurden und auf der anderen Seite erzählt sie wie mühsam diese Videokonferenzen sind, da sie kaum Konzentration aufbringen kann und sich einsam zuhause fühlt. Die Lehrkräfte handhabten das Home-Schooling unterschiedlich, die einen waren innovativ und machten statt Sport live – Jonglieren über Zoom, andere Lehrkräfte luden einfach Dokumente hoch und hielten Monologe. Anni sagt „das wurde natürlich auch versucht im Online-Unterricht, hat man schon gemerkt, man hat versucht das irgendwie ähnlich zu machen wie im Präsenzunterricht, aber das ist natürlich nicht dasselbe, vor allem auch, es macht keinen Spaß, weil du nicht mit anderen Schülern bist. Du siehst keinen, du bist allein, einfach.“ Die Lehrkräfte können nicht beeinflussen wie die Schüler/innen mitmachen, da sie nicht im selben Raum sind, so sagt Anni „keiner, keiner achtet auf dich“ und erzählt weiter, dass sie viel mehr am Handy hängt als vor dem Lockdown, da sie damals im Alltag so engagiert war, meint Anni, hätte sie gar nicht die Gelegenheit gehabt. Anni ist nämlich eine von den Schülerinnen, die es lieben in die Schule zu gehen. Als Schulsprecherin, Schauspielerin im Schultheater, Sportlerin im Fußballverein und Teilnehmerin verschiedenster Angebote von Lehrkräften füllte sie ihren Tagesablauf bis zur Abenddämmerung. Ihre Jahrgangsstufe war seit März 2020 über die Hälfte der Schulzeit im Home-Schooling. Sie hat es ausgerechnet. Diese Zeit empfand Anni als verloren Zeit ihrer Jugend, eine von vielen neuen Sorgen die Anni im Gespräch ausspricht. Sie war angemeldet für zwei Austauschprogramme nach Frankreich und nach China und beide wurden wegen der pandemischen Lage gestrichen. „Ein Bedürfnis ist auf jeden Fall, die Sachen, die ich verpasst habe nachzuholen“ um nur einige ausgesprochene Bedürfnisse von Anni zu nennen. Dann sagt sie, dass es ihr ja „eigentlich“ gut ginge, im Gegensatz zu anderen, habe sie es ja nicht schlecht im Leben und „eigentlich“ ginge es ihr ja gut. Sie relativiert ihre Bedürfnisse. Der wenige Kontakt zu Schulkameraden und Gleichaltrigen könnte auch einen Kontaktverlust zu ihrem Inneren hervorrufen, da sie kaum Feedback von Gleichaltrigen bekommt. Für die Zukunft wünscht Anni sich diese Zeit niemals zurück und hofft, dass die Politik und die Gesellschaft dazugelernt haben, besser in so einer Pandemie zu reagieren und „wo ich das Gefühl habe, was ich verpasst habe, dass ich das nachholen kann, vielleicht aus der Corona-Zeit auch was lerne, weil, das ist ja auch eine Erfahrung, ich habe andere Erfahrungen nicht gemacht, aber die jetzt zumindest (lacht).“