Alleingelassen

Frau Meier (40); Praxisprotokoll einer Studentin aus der ambulanten Erziehungshilfe; Mai 2020

Frau Meier ist alleinerziehend und lebt zusammen mit ihren drei Kindern in einer Sozialwohnung.  Zum Vater der Kinder besteht Kontakt, allerdings ist das Verhältnis schlecht. Unterstützt wurde Frau Meier bis vor dem ersten Corona-Lockdown durch eine heilpädagogische Tagesstätte für ihren Sohn Sebastian (8 Jahre) und durch eine ambulante Familienhilfe für ihren zweiten Sohn Andreas (12 Jahre). Zudem wurde Frau Meier unter der Woche durch die Schule entlastet, sodass sie sich auf den Haushalt und sich selber konzentrieren konnte. Seit den starken Einschränkungen durch Corona sind die Kinder den ganzen Tag zu Hause und die Familie wird nur noch von der ambulanten Familienhilfe unterstützt. Der Familie fehlen die technischen Mittel für das Homeschooling. Zudem verliert Frau Meier öfter den Überblick über die Wochenpläne ihrer Söhne. Da sie meistens selber mit den Schulaufgaben überfordert ist kann sie ihren Kindern nicht ausreichend helfen. Die Rückstände in der Schule zeigen sich besonders deutlich. Frau Meier ist jetzt besonders auf die Hilfe der ambulanten Erziehungshilfe angewiesen.

 

Ich besuche Frau Meier um neue Arbeitsaufträge für Andreas vorbei zu bringen und die bereits bearbeiteten mitzunehmen, damit ich diese am nächsten Tag zur Schule bringen kann. Frau Meier bittet mich, Medikamente für ihre Söhne aus der Apotheke abzuholen. Ich komme mit ihr in ein Gespräch und sie erzählt mir von den Einschlafproblemen ihrer Söhne. Bei Andreas und Sebastian wurde ADHS diagnostiziert und seit mehreren Wochen nehmen sie Medikamente. Sebastian ist seitdem abends hyperaktiv und kann nicht einschlafen. Frau Meier leidet sehr unter dieser Situation. Sie erzählt es habe schon Ärger mit den Nachbarn gegeben, da Sebastian nachts aggressiv wird und schreit. Frau Meier fühlt sich schlecht. Auch sie hat seit Tagen nicht mehr ausreichend geschlafen und ist mit ihren Kräften am Ende. Sie will ihrem Sohn keine Tabletten geben. Frau Meier hat schon viel versucht. Jetzt sieht sie keinen anderen Ausweg mehr.